Ehrenamtliche Kulturarbeit & Wissensvermittlung pro Ukraine

Ein Interview mit Oleksandra Holyaka und Michael M. Roth. 

Beim Stichwort „Ukraine-Hilfe“ hat wohl jeder ein unterschiedliches Bild im Kopf: von der Flüchtlingshilfe bis zu humanitären Hilfeleistungen.

Wir wollen heute reden über etwas Geschichte und Gestaltungsmöglichkeiten von Kultur- und Informationsarbeit im Sinne der Unterstützung der Ukraine in unserer Wahlheimatstadt bzw. -region Karlsruhe.

Michael, vor zwei Jahren hast Du USKA gegründet, was war Dein Impuls, was genau wolltest Du erreichen?

Wie wahrscheinlich Tausende und Millionen anderer Menschen, so verlor auch ich am 24.2.24 mit dem Tag des Überfalls Russlands auf die gesamte Ukraine meinen Glauben an den Friedenswillen Russlands. Es war quasi die Torpedierung meiner letzten Illusionen. Das Undenkbare, das Unfassbare war zur Wirklichkeit geworden. Eine schreckliche neue Realität! 

Im Allgemeinen habe ich sowas wie einen Gerechtigkeitssinn. Meist ergreife ich Partei für die Schwächeren bzw. versuche, mich in deren Perspektive zu versetzen. Im konkreten Fall und Moment spürte ich im Herzen, dass ich ohne wenn und aber auf der Seite der Ukraine stehe.

Auch wenn es fern meiner Möglichkeiten lag, diesen, von Russland angezettelten Krieg zu beenden, so hoffte ich darauf, wenigstens einen kleinen, bescheidenen Beitrag leisten zu können in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine, die nun bitter notwendig wurde. Dringender und wichtiger als jemals zuvor.

Am Tag des erweiterten Angriffs Russlands auf die Ukraine, 24.2.22, fand bereits abends die erste große, spontane Kundgebung auf dem Karlsruher Marktplatz statt. Nur zwei Tage später, am 26.2.22 , gab es die zweite große Kundgebung in Karlsruhe zur Unterstützung der Ukraine – dieses Mal vor dem Schloss Karlsruhe. Hier lernte ich engagierte Ukrainer kennen, woraus sich einige Freundschaften entwickelten.

USKA, der Ukraine Support Karlsruhe, war zunächst nur der Name einer Facebook-Gruppe, die ich am 24.2.22 ins Leben rief. Innerhalb weniger Tage kamen wir auf ein paar Hundert Mitglieder. Die Stimmung zu jener Zeit in der deutschen Bevölkerung war ganz klar orientiert auf die Unterstützung der Ukraine. Dafür bot ich nur eine von einigen Plattformen. Ich fühlte mich ein wenig wie der kleine Bruder vom Deutsch-Ukrainischen Verein Ukrainer in Karlsruhe, den ich bis dato nicht mal gekannt hatte, der in den folgenden Monaten aber sehr wichtig und intensiv für mein Leben werden sollte. 

Um die Facebook-Gruppe drum herum entwickelte sich in den kommenden Tagen und Wochen das dynamische Netzwerk USKA (Website und Förderprojekt).

Weiterhin eröffneten wir WhatsApp-Gruppen, wo wir quasi “Erste Hilfe” für in Karlsruhe angekommene ukrainische Geflüchtete organisierten und koordinierten.

Welche waren die schönsten Momente? Welche Herausforderungen sind noch nicht gelöst?

Der schönste Moment ist für mich der Gesamtmoment aller Momente, der besagt, dass es in der deutschen Gesellschaft wie in der Welt ein großes Potenzial an wehrhaften Kräften gibt, die bereit sind, unsere Freiheit und unsere demokratische Grundordnung in Europa zu verteidigen. Multinational sind wir zusammengewachsen bei einer Vielzahl von interkulturellen Events.

Knapp zwei Jahre nach Russlands Überfall auf die gesamte Ukraine habe ich eine Vielzahl von ukrainischen Freunden kennen gelernt. Ich habe gesehen, was möglich ist, wenn Menschen mit einer gemeinsamen Motivation etwas auf die Beine stellen und im konkreten Fall für europäische Werte einstehen und zusammenstehen. Die Ukraine – Das ist Europa. Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen nach wie vor der Welt zeigen, dass es sich lohnt, für eine freie Ukraine und somit für ein freies Europa zu kämpfen. Die ukrainische Kultur ist keine Subtraktion von der, sondern eine Addition zu der europäischen Kultur. 

2023 gründeten wir als “art USKA” eine kleine Künstlergruppe von ukrainischen Künstlerinnen, die überwiegend vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflüchtet waren und bei uns in Karlsruhe nach neuen Entwicklungschancen und Möglichkeiten des Ausdrucks suchten. Im Oktober war es soweit: Unsere erste gemeinsame Ausstellung – „Widerspiegelung“ fand im OrgelFabrikSalon Karlsruhe-Durlach statt. Allein zur Vernissage kamen ca. 80 Besucher und Besucherinnen.
Leider starb vor wenigen Tagen, im Januar 2024, der Vater einer Künstlerin unserer Gruppe bei einem der zahlreichen Angriffe Russlands auf die ukrainische Großstadt Charkiv. Sowas berührt, sowas verletzt, sowas zeigt die Nähe dieses brutalen und menschenverachtenden Angriffskrieges gegen das ukrainische Volk auch bei uns in Deutschland. Selbst nach knapp zwei Jahren russischer Überfall auf die gesamte Ukraine bleibt dieser Krieg präsent, faktisch und unerträglich.

Oleksandra, Du beschäftigst Dich meistens mit Kultur- und Informationsthemen. Warum ist das wichtig?

Bis zum Jahr 2022 benötigte ich viele Worte und Erklärungen, um mich vorzustellen. Wenn ich sagte: „Ich komme aus der Ukraine“, bekam ich viele Fragen: Liegt das Land in Sibirien? Habt Ihr Eure eigene Sprache? Ist das dasselbe wie Russisch? 

Doch warum gab es so viele Gegenfragen? Ganz einfach: Die Ukraine stand sehr lange Zeit im Schatten Russlands. Die Slawistik in Deutschland widmete sich russischen Themen, und die russische Literatur stand im Fokus des Interesses der Übersetzer. Russische Kolonialpolitik und Propaganda funktionierten so gut, dass die Menschen hier glaubten, die unabhängige Ukraine existiere nicht. 

Es ist recht unangenehm zu hören, wenn man aus einem Land kommt, das doppelt so groß wie Deutschland ist, dass man nicht wirklich existiert und als unabhängiger Staat nicht bestehen darf. 

Diese Position war für alle von Vorteil: für die Russen und ihr Imperium und auch für Deutschland.

Die Tatsache, dass so wenig über uns bekannt war, heißt nicht, dass wir nicht existierten. Die ukrainische Kultur ist genauso interessant und facettenreich wie die anderer europäischer Länder.

Oleksandra, erzähl mal über das Wikipedia-Projekt?

Seit einigen Monaten schreibe ich regelmäßig Artikel für die deutsche Wikipedia. Auslöser dafür war eine Buchlesung mit Max Kidruk, die im Herbst 2023 im Ukrainischen Kulturzentrum Karlsruhe stattfand.

Der bekannte ukrainische Schriftsteller und seit kurzem auch Verleger, ging auf eine große Lese-Tournee durch Europa. Als ich nach Informationen über Max suchte, konnte ich leider nicht viel auf Deutsch finden, und so stellte ich fest, dass die ersten Informationen, die ich bei einer Google-Suche erhielt, die Wikipedia-Artikel waren.  Das motivierte mich, und nach und nach entdeckte ich in der deutschen Wikipedia viele Bereiche, die ergänzt werden mussten. 

Zum Beispiel die Vertreter der Sechziger-Bewegung (Streben nach Wiederbelebung der ukrainischen Sprache und Kultur) oder die Liste der ukrainischen Künstler, die von den sowjetischen Regierungen verfolgt und repressiert wurden.

In Deutschland sind solche Seiten der ukrainischen Geschichte wie der Holodomor, die zahlreichen Verbote der Verwendung der ukrainischen Sprache im Russischen Reich, wie zum Beispiel durch den Emser Erlass, und Hingerichtete Renaissance kaum bekannt. 

Viele dieser Themen erklären, warum die Ukrainer die Unabhängigkeit von Moskau erstreben und wie viel Schaden die russischen Regierungen uns im Laufe der Jahrhunderte zugefügt haben.

>>Statt über den Umgang mit der russischen Kultur zu debattieren, sollten westliche Intellektuelle darüber sprechen, wie die nächste “Hingerichtete Renaissance” verhindert werden kann<<, schrieb prophetisch Wiktorija Amelina, im März 2022. Im Sommer 2023 wurde sie durch eine russische Rakete getötet.

“Durch Nachrufe lernt Deutschland die ukrainische Gegenwartsliteratur allmählich kennen“, schrieb Tanya Maliarchuk im Nachruf auf ihre Kollegin.

Bücher von Tanja Maljartschuk und anderen renommierten ukrainischen Schriftstellern in deutsche Übersetzung sind in der Liste zu finden: Liste von ukrainischer Literatur in deutscher Übersetzung

Ukraine-Hilfe heißt auch, ukrainische Autoren zu lesen.

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