Eidechsen-Score, Kognitozän & die Impfung als Lackmustest

In diesem Artikel möchte ich zwei neue Begriffe einführen, die ich zuvor schon in den sozialen Medien angeteasert hatte. Es geht um EIECS, auch Eidechsen-Score genannt, was die Ethisch-Intelligente Entfaltungskapazität einer Gesellschaft meint.

Schließlich führt uns das zum Kognitozän. Diesen Terminus will ich gerne prägen, um Hoffnung unter den Menschen zu streuen, dass der Mensch noch immer zu Wahrnehmung und Erkenntnis fähig ist, nachdem eine wohl überwiegend negative Reputation im Kontext des Anfang der 2000er Jahre geprägten Begriffs des Anthropozän entstand.

Im Rahmen der von mir in 2018 gestarteten Philosophie der Ethischen Intelligenz tauchen in letzter Zeit gehäuft einige, neuartige Worte auf. Diese dienen nicht der Stiftung einer maximalen Verwirrung. Es geht fast immer darum, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. So wie beim sehr zentralen Begriff der Soziogenten. Das Menschliche innerhalb der Menschheit ist zweifelsohne von hoher Relevanz. Schauen wir über die eigene Spezies hinweg, bedarf es eines Wertewandels, eines Abrückens von der eigenen Hybris und eines bisher versäumten herzlichen Willkommenheißens anderer Arten auf dem Planeten Erde. Die folgende Grafik bietet einen Überblick im scheinbaren Tohuwabohu der Begrifflichkeiten.

Im Folgenden gehe ich nun auf die Ethisch-intelligente Entfaltungskapazität einer Gesellschaft ein (EIECS = Ethical Intelligent Expansion Capacity of an Society). Wir sollten uns vor Augen halten, dass es sich nicht um eine im Universum allgemeingültige Formel handelt, die an die mathematische und physikalische Stringenz von Einsteins Definition (oder Erkenntnis) E=mc^2 herankommt. Vielmehr geht es um ein philosophisch-gesellschaftliches Model, das zum Nachdenken über das Veränderungs- und Problemlösungsvermögen einer Gesellschaft anregen soll. Für die „Berechnung“ des Eidechsen-Score habe ich mir (veränderliche, dynamische) Größen und Variablen zusammen gesucht, die meiner Meinung nach von Bedeutung sein könnten für dieses somit ebenfalls volatile Vermögen der Gesellschaft, eines Landes, einer Region. Die folgende Grafik veranschaulicht das formelhafte Model. Zu hinterfragen wäre also, wie kann es uns Menschen oder auch der Gesamtheit der Soziogenten einer Gesellschaft gelingen, die von mir beschriebene Entfaltungskapazität zu vergrößern?

Letztlich komme ich zum Kognitozän. Der am 28. Januar dieses Jahres verstorbene, niederländische Meteorologe und Atmosphärenchemiker Paul Josef Crutzen (1933-2021) prägte um 2002 den Begriff des Anthropozän. Damit ist das Menschenzeitalter gemeint. Jenes Zeitalter, als eine besondere tierische Spezies oder jene, die sich für etwas Überlegenes hielt, die Erde so stark veränderte, dass diese neuerdings hoch entwickelte Spezies tatsächlich über das – vor allem planvolle – Veränderungsvermögen der anderen Arten auf der Erde hinaus ragte. Dramatische Beispiele sind der Abwurf der Atombomben der USA über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 oder das industrielle Zeitalter in welchem der CO2-Gehalt der Atmosphäre innerhalb von nur wenigen Dekaden überproportional stark angehoben wurde, was anstoßend für den Klimawandel wirkte mit schwerwiegenden Folgen für alle Soziogenten auf der Erde wie Dürren, Überschwemmungen und vieles mehr.

Meine Intention der Schaffung des Begriffes Kognitozän (Cognitus, lat. = bekannt, erprobt, das Kennenlernen) besteht darin, dass ich auf das Potenzial des Wahrnehmens und Erkennens aufmerksam machen möchte. Die Benennung des Anthropozäns verschaffte den Menschen einen sicherlich starken negativen Leumund. Paul J. Crutzen musste den fortschreitenden Klimawandel kritisch gesehen haben, hier insbesondere die Rolle des Menschen. Das Kognitozän nun als Zugpferd neuer Hoffnungen und Initiativen, wozu bspw. die Fridays-for-Future-Bewegung gehört, initiiert durch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg (geb. 2003). Irgendwo im Schlepptau, von dem wir uns bis heute nicht ganz gelöst haben, wenn ich nur an die miserablen Lebens- bzw. Sterbeverhältnisse von Schweinen und männlichen Küken in der Massentierhaltung denke, die Versäumnisse und fehlende Wahrnehmung gegenüber unserer Umwelt und Natur, deren Teil wir eigentlich sind, während der letzten Dekaden. Bereits auf der ersten Klimakonferenz in Paris 1979 sprach man von den möglichen Auswirkungen des Klimawandels.

Wie könnten wir verifizieren, dass die Gesellschaft, in der wir leben, ein hohes Ethisch-intelligentes Entfaltungspotenzial (EIECS) besitzt? Wodurch können wir annehmen, das Kognitozän hätte bereits begonnen oder wir täten mutige Sprünge hinein in eben dieses neue Menschenzeitalter, Menschenteilzeitalter, des Kognitozän, der Erkenntnisära, obgleich wir (in Teilen) immer wieder fluktuieren hin zum Disruptozän, dem vorangegangenen zerstörerischen Part des Anthropozän?

Ich denke, dass die Impfung gegen das Coronavirus ein relevantes Beispiel dafür ist, wie unsere Gesellschaft mit sich selbst im Ringen ist. Nach dem Beginn der weltumspannenden Pandemie Ende 2019, die zwar als Möglichkeit vorhergesehen wurde bzw. vorhersehbar war, aber im Effekt doch eklatant unterschätzt wurde bzgl. des zerstörerischen Entwicklungspotenzials, gelangte der Mensch innerhalb von wenigen Monaten zu einem hoch effizienten Abwehrmechanismus, der Impfung gegen das Coronavirus. Bei allen Sorgen und Hoffnungen setzte sich mehrheitlich in relevanten wissenschaftlichen Kreisen durch, dass mit dem neuen Angebot der Impfstoffe das Coronavirus zumindest im Schach gehalten werden könne. Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel (geb. 1954), sprach davon, dass bis Ende des Sommers, i.e., September 2021, ein Impfangebot an alle für die Impfung zugelassenen Bürger und Bürgerinnen gemacht werden könne. Offensichtlich lag sie damit gar nicht so falsch, denn heute, am 4.9.21, können im Grunde alle Impffähigen und Impfwilligen eine Impfung gegen das Virus ohne lange Wartezeit erhalten.

Was wir sehen, ist allerdings eine relativ große Anzahl von Impfgegnern und Impfgegnerinnen, so dass die aktuelle Impfquote bei knapp über 60% liegt, zu diesem Septemberbeginn. Das ist nicht wenig. Aber wenn wir von Potenzial sprechen, wie beim Eidechsen-Score und von einer Erkenntnisgesellschaft, wie beim Kognitozän, dann scheint es zumindest noch Luft nach oben zu geben.

Besonders in den Sozialen Medien, wo Menschen mit angestauten Frustrationen selbigen gerne mal freien Lauf lassen, während weniger aufgeregte Menschen die Konfrontation scheuen und sich lieber heraushalten aus Diskursen, die häufig von persönlichen Verletzungen begleitet sind, können eben solche Kreise punkten und mit seichten Argumentationen zur Verunsicherung anderer beitragen. Dazu gehören Aussagen wie „Neuerdings kommt es zu Impfdurchbrüchen. Selbst Geimpfte erkranken. Demnach wirkt die Impfung nicht!“ – Außer Acht gelassen wird bei derlei Argumentationsführung das Verhältnis von schweren Infektionsverläufen oder gar Sterbefällen zur Anzahl der Geimpften. Anfang August 2021 hat das RKI von 7.000 Impfdurchbrüchen berichtet bei 44 Millionen Geimpften.

Wenn ich vom Ethisch-intelligenten Entfaltungspotenzial einer Gesellschaft und vom Kognitozän (mit Startschwierigkeiten) spreche, dann geht es mir nicht – allein – darum darzustellen, wie unklug eine Gesellschaft noch ist oder der Ethellekt neben einem zweifelsohne vorhandenen Intellekt unzureichend ausgeprägt ist bei vielen Menschen. Die Herausforderung besteht tatsächlich darin, Ursachenanalyse zu betreiben. Die Nutzung von Vokabeln wie „Covidioten“ erscheint einfach, stringent, aber am Ende wohl wenig zielführend. Worin bestehen also die Triebkräfte eines nur teilweisen, zögerlichen Wahrnehmens und Erkennens? Wie beeinflussen unsere Emotionen unsere Erkenntnisse? Wenn uns eine Regierung grundsätzlich nicht zusagt, reservieren wir dann in der Konsequenz überhaupt kein Ohr mehr für selbige?

Sokrates (469 bis 399 v. Chr.) ist heute aktueller denn je. Der griechische Philosoph liebte es, Fragen zu stellen. Mit diesen wollte er seine Schüler hin zu Erkenntnissen führen. Während heute gefühlt 80 oder 90% zumindest der in den Sozialen Medien agierenden Meinungsrepräsentierenden fast ausschließlich Antworten parat haben, sollten wir zurück kehren zum Stellen von Fragen und Hinterfragen von Positionen, die vor allem unseren eigenen Gemütszustand bedienen.

Das Kognitozän ist ein Modell. Als mir erscheinende zeitgemäße und längst überfällige Antwort auf das von Paul Crutzen propagierte Anthropozän, das freilich schon den Versuch eines Wachrüttelns der Menschheit implizierte. Das Kognitozän, das Erkenntniszeitalter, könnte zu einem neuen „Big Picture“ für die Menschheit werden. Es geht darum, dass Erkenntnisse aus der Wissenschaft vereinbar werden mit dem Wohlbefinden des Menschen. Bei aller Diversität sollten wir die Suche nach einem Minimalkonsens in essenziellen Fragen, die die den erfolgreichen Fortgang der Gesellschaft betreffen, nicht aufgeben.

Text und Grafiken: (C) Michael M. Roth, 2021. Kontext: Ethische Intelligenz.

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