Chancen der Aufarbeitung am Badischen Staatstheater

Ich möchte zunächst sagen, dass ich mit den internen Vorgängen am Badischen Staatstheater Karlsruhe – siehe BNN-Artikel zu Theater-Intendanten Peter Spuhler und sein Verhältnis zur Belegschaft – nicht wirklich vertraut bin. Einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen am Theater kenne ich, natürlich auch durch viele fotografische Aufträge, die ich an diesem imposanten Orte hatte. Das Staatstheater ist einer meiner besten Kunden. Ich arbeite mit Personen auf ganz verschiedenen Ebenen zusammen, ob Angestellte oder Mitglieder der Führungsetage. Immer mit Wertschätzung und gegenseitigem Respekt. Ich habe nie eine überhebliche oder despektierliche Art mir gegenüber oder überhaupt wahrgenommen.

Foto: Michael M. Roth, MicialMedia | Rundgang des Ministerpräsidenten am Badischen Staatstheater Karlsruhe (2.5.2018) ; u.a. mit OB Frank Mentrup, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann, Generalintendant Peter Spuhler, Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst (BaWü) Theresia Bauer, Staatssekretärin Gisela Splett und Kulturbürgermeister Albert Käuflein


Unabhängig von diesen persönlichen Bezügen sind die aktuellen Vorgänge in gewisser Weise für die Öffentlichkeit relevant. Schließlich handelt es sich dort um Menschen. „Ich und Du“ sind auch Menschen. Und vielleicht passiert das, was in den letzten Jahren am Staatstheater in Karlsruhe geschehen ist, zigfach an anderen Stellen, wo wir es entweder nicht wahrnehmen oder uns überfordert fühlen. Auf großer systemischer Ebene ziehe ich einen Vergleich zum Klimawandel. Der Mensch hat diesen verursacht. Es werden immer mehr Stimmen laut, die die eklatanten Risiken, Gefahren und Prognosen im Kontext des Klimawandels artikulieren. Man spricht von sogenannten Kipppunkten oder Tipping Points. Wenn ein solcher erreicht ist, rast das System als Ganzes gegen eine Wand, und die Selbstzerstörung scheint unabwendbar.

Ich bin nicht König Salomo, der darüber entscheidet, wer das Kind des gemeinsamen, respektvollen Umganges getötet hat. Eher hoffe ich, dass Ihr selbst in der – nachvollziehbaren – Wut zu Urteilen gelangt, die die Menschlichkeit des Handelns auf beiden Seiten respektieren. In meiner Philosophie der Ethischen Intelligenz habe ich eine Methode, die ich als „Kette des Lernens“ bezeichne.

Fehlbarkeit -> Lernfähigkeit -> Entschuldbarkeit
Um Entschuldigung bitten / Entschuldigung gewähren
Zweiseitige Kette des Lernens: In mir, beim Gegenüber

Quelle: https://micialmedia.de/woerterbuch-ethische-intelligenz/kette-des-lernens/

Ebenso hilfreich könnte sein die Methode des Perspektivaustausches:
Zweiseitiger Perspektivwechsel; Perspektivaustausch;

Das bedeutet, dass beide Seiten einen Wechsel der Perspektive vornehmen. Der Generalintendant nimmt die Perspektive der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein und vice versa: Die Mitarbeitenden stellen sich vor, wie es wäre, in der Führungsposition zu sein.

Das Paket der Be- und Verurteilungen sowie der Gegenmaßnahmen ist eine Gratwanderung. Es ist eine riesengroße Herausforderung für beide Seiten, die Führung und die Ausführenden. Aus dem Blickwinkel der Angestellten ist einerseits die Frustration nachvollziehbar. Es gibt nun aber auch eine Versuchung, die Seite der Führung *zerstören* zu wollen. Doch wenn Ihr das tut, dann zerstört Ihr ebenso einen Teil von Euch selbst. Dies gilt es zu überlegen. Denkt mal daran, dass Ihr selbst keine ethisch-intelligenten Überwesen seid. Auch Ihr seid fehlbar.

Die Aufklärungsarbeit ist eine zweiseitige Sache. Das ist mehr als ein Richterspruch und die Selbstauflösung des Verurteilten. Der Gedanke der Mediation, wie im Artikel der Badische Neueste Nachrichten angesprochen, auch wenn schon mal gescheitert, erscheint mir zumindest als ein optionaler Strohhalm, bei dessen Ergreifung alle Seiten ihr Gesicht wahren können, insbesondere freilich die geschädigte Seite entschädigt wird. Hierbei kann es zu einem materiellen Ausgleich kommen, vor allem sollte das aber auch auf mentaler Ebene stattfinden.

Ich denke, je mehr der – ich nenne es bewusst milde – „Kritisierte“ eigene Fehler einräumt und authentisch um Entschuldigung bittet, desto mehr wird die andere Seite davon abweichen, die Seite der Führung allein an den Pranger zu stellen.

Mir persönlich steht es nicht zu, über Schuld oder Unschuld zu urteilen. Und doch bin ich als Erdenbürger involviert. Nicht zuletzt durch ein Medium wie den BNN, das versucht, den Sachverhalt objektiv darzustellen. Ich möchte weder anklagen noch verletzten. Ich möchte Euch Mut zusprechen, aus der Entwicklung der letzten Jahre am Badischen Staatstheater zu lernen. Das Theater selbst bietet die Bühne für zahlreiche Fabeln, Botschaften und Lerneffekte. Das Theater spiegelt die Wirklichkeit auf eine künstlerische Art und Weise. Gerade das Badische Staatstheater Karlsruhe diente oft als Plattform für den Austausch unter der Bevölkerung zu wichtigen Herausforderungen der Zeit wie der Flüchtlingskrise. Nun fand ungewollt ein „Stück im Stück“ statt. Je besser es dem Theater gelingt, die Konflikte nach menschlichen und ethischen Gesichtspunkten aufzuklären, desto eher kann das Theater selbst wieder zu einem vertrauenswürdigen Anker innerhalb der Gesellschaft werden. Ich wünsche dem Theater, insbesondere allen Involvierten, viel Glück und Erfolg, um diese nicht einfache Aufgabe und Arbeit der Aufklärung zu bewältigen. Vergesst bitte die Liebe und die Menschlichkeit nicht. Auf beiden Seiten, ganz klar!

UPDATE (Freitag, 17.7.20)
Der Verwaltungsrat hat sich für den Verbleib von Peter Spuhler im Amt des Generalintendanten ausgesprochen. Im folgenden Gespräch gibt es eine erste Reaktion darauf und die Betonung der Notwendigkeit des Wandels am Badischen Staatstheater:
https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/das-raue-klima-am-arbeitsplatz-theater-100.html
[SWR, 17.7.20]

Weitere Links im Kontext (latest on top):
Die Theaterkrise um Peter Spuhler spitzt sich zu
[RNZ, 25.7.20]

Scheidender Generalmusikdirekter Justin Brown zeigt sich „entsetzt“ über Staatstheater-Krise
[BNN, 21.7.20 / „BNN+“, Registrierung erforderlich]

Ein Intendant unter Beobachtung
Anna Bergmann im Gespräch mit Esther Slevogt

[nachtkritik.de, 19.7.20]

Kommentar: Ein Staatstheater ist kein Fußballverein
[SWR, 17.7.20]

Staatstheater-Mitarbeiterin: „Die Probleme, die bisher ignoriert wurden, müssen nun diskutiert werden!“
[ka-news, 17.7.20]

Hunderte Mitarbeiter des Badischen Staatstheaters demonstrieren vor Verwaltungsratssitzung
[BNN, 17.7.20]

Karlsruher Staatstheater: Orchester und Chor rücken von Intendant Spuhler ab
[BNN, 14.7.20]

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