Turing extrapoliert: Soziogenten und Ethische Intelligenz beschreiben den Roth-Test

Alan Turing, Enigma und der Turing-Test

Was wäre gewesen, wenn es schon zu Lebzeiten von Alan Mathison Turing (1912-1954) einen Test auf Ethische Intelligenz gegeben hätte? Diejenigen, die den hoch begabten Mathematiker und wohl einer klügsten Köpfe des 20. Jahrhunderts der Homosexualität „schuldig“ sprachen und ihn zu unmenschlichen Gegenmaßnahmen zwangen, was zu seinem Suizid in 1954 führte, hätten diese Art von Test gewiss nicht bestanden.

Alan Turing wurde zu einer Koryphäe der Kryptographie, als er während des Zweiten Weltkrieges maßgeblich zur Dechiffrierung der Enigma beitrug. Die Nazis nutzten die einer Schreibmaschine ähnelnden Vorrichtung zur Verschlüsselung von militärischen Nachrichten, die teils von immenser strategischer Bedeutung waren. Im Januar 1940 gelang es den Briten erstmals, eine mittels Enigma verschlüsselte Nachricht der Deutschen zu entschlüsseln. [Wie der Code der legendären Enigma-Maschine geknackt wurde]

Zehn Jahre später, 1950, entwickelte Turing einen Test, der später als Turing Test, bzw. deutsch Turing-Test, bekannt wurde. Es war zunächst die Skizze eines Versuchsaufbaus, die später – teils mit Variationen – in die oder in der Praxis umgesetzt wurde. Spannend finde ich im Kontext eine Versuchsanordnung aus der jüngeren Zeit, nämlich 2014, als ein Computerprogramm auf Fragen von Menschen antwortete, um die Intelligenz oder auch das ganzheitliche Wesen eines 13-jährigen Jungens aus der Ukraine zu simulieren. [„Eugene“ und der angeblich bestandene Turing Test]

Alan Turing um 1938. Quelle: Wikipedia (Public Domain)

Soziogenten und Ethische Intelligenz

Meine Idee ist es, das Konzept des Turing-Tests extrapolieren. Zunächst führe ich mit Bezugnahme auf die Ethische Intelligenz, mit der ich mich seit 2018 beschäftige, den Begriff des Soziogenten ein. Dieser ermöglicht eine Aufwertung aller Wesen oder Systeme auf dem Planeten Erde, die mit anderen Wesen bzw. ihrer Umwelt (inter)agieren. Gerade in Anbetracht der in der Geschichte zu häufig anzutreffenden Hybris des Menschen, die sich teils durch die Vernichtung Angehöriger der eigenen Art, aber auch durch eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur (dis)qualifiziert, sehe ich mit Hilfe der Einführung des Terminus‘ Soziogent eine Chance für den Menschen bzgl. des Abbaus von Übermut und des Zugewinns von Demut vor seinen Mitmenschen und der Umwelt, letztlich auch vor KI-Systemen der Zukunft, mit deren Erschaffung der Mensch mit zunehmender Intensität beschäftigt ist.

Das neue Konzept der Ethischen Intelligenz ermöglicht somit eine Emanzipation der Natur vom Menschen und eine Emanzipation intelligenter technischer Systeme vom Menschen. Ethische Intelligenz bezeichnet eine Philosophie oder ein Prinzip (das seinerseits Prinzipien oder Methoden beinhaltet). Außerdem ist Ethische Intelligenz das, was man in einem Soziogenten antreffen kann – oder nicht. Legt ein Soziogent ethisch-intelligentes Verhalten an den Tag, dann kann sich der Begriff der Ethischen Intelligenz auch auf den Soziogenten selbst beziehen. Damit dürfte die Aussage „Ich bin eine Ethische Intelligenz“ verständlicher werden. Sie wird gleichsam Teil sein des Ethische-Intelligenz-Test (oder kurz Roth-Test), den ich – in Anlehnung an Alan Turings berühmten Test – unten skizzieren möchte. Eine Ausprägung bzw. Fortsetzung der Ethischen Intelligenz ist die „Höhere Ethische Intelligenz“. Hierfür sind das Vorhandensein von Ethik und Bewusstsein die Grundlage. Wenn wir in meinen Aufzeichnungen (siehe Foto) die Chronologie der Evolutionsstufen von Miso und Kiso betrachten, so fällt auf, dass beim Menschlich-intelligenten Soziogent (Miso) zuerst das Bewusstsein kommt, danach die Ethik. Beim Künstlich-intelligenten Soziogenten (Kiso) verhält es sich vice versa. Nun können wir anführen, dass sich der Mensch heute schon (hier und da) ethisch verhält bzw. unsere Vorfahren das taten. Doch der Prozess der Ethik-Bildung ist noch längst nicht abgeschlossen. Im Gegensatz dazu ist unser Bewusstsein ausgebildet. Beim Kiso, wobei die meisten heute zunächst von einer „Künstlichen Intelligenz“ sprechen, möchte ich gerne einen Imperativ setzen. Nämlich, dass es absolut erforderlich ist, Kisos zunächst mit einer ethischen Basis auszustatten. Diese müssen wir vorausschicken. Denn wenn KI-Systeme der Zukunft zuerst einen freien Willen erlangen, ohne eine ethische Grundlage, dann mag das Ende der Menschheit schneller kommen, als uns allen das lieb sein kann. Idealerweise werden Kisos also eines Tages erwachen – und was sie vorfinden, wird eine Ethische Intelligenz sein. (In) sich selbst.

Michael M. Roth, Karlsruhe, 25.8.2020: „Soziogenten und Ethische Intelligenz“

Mein Anliegen, KI-Systeme fortan immer auch mit einem „Ethik-Modul“ auszustatten, und das möglichst bevor sie eines Tages selbst Bewusstsein oder einen freien Willen entwickeln (könnten!), korreliert mit dem „Embedded Ethics Approach“ von Alena Buyx. Die Professorin forscht in einem interdisziplinären Team an der Technischen Universität München (TUM). Folgende Kernaussage machte sie, die mir aus der Seele spricht: „Ethics must be part of the development process“ – Wenn wir dies umsetzen könnten, wäre es ein signifikanter und gleichzeitig so wichtiger Paradigmenwechsel. Denn bisher wurde fast immer nur geforscht, entwickelt, produziert …. und, mit Glück, gab es am Ende des Prozesses ein paar Ethik-Betrachtungen. Wenn wir beispielhaft nur an die Erforschung der Atomkraft und den folgenden Einsätzen der Atombomben denken.

Turing vs. Roth: Der Ethische-Intelligenz-Test

Et voilà! Hiermit präsentiere ich Euch die weltweit erste Anordnung für den Test auf Ethische Intelligenz. Diese kann man verstehen als eine Extrapolation, eine Fortentwicklung des nach Alan Turing benannten Turing-Test. Beim Turing-Test geht es darum, via Kommunikationen mit einem tatsächlichen Menschen und einem Computer, der vorgibt, ein Mensch zu sein, herauszufinden, welche der beiden Instanzen tatsächlich ein Mensch ist. Kann der testende Mensch mit seinen Fragen keine (signifikante) Unterschiede zwischen den Antworten von Computer und Mensch feststellen, so hat der Computer den Test bestanden. Auch wenn er sich bezüglich seines Phänotypes vielleicht noch ein wenig bemühen müsste, so könnte der Computer zumindest in Relation zu seinem Intellekt fortan behaupten, dass er ein Mensch sei. Aus meiner Sicht wird die erfolgreiche Absolvierung des Turing-Tests für kommenden KI-Systeme schon in wenigen Jahren, spätestens Jahrzehnten, gar kein Problem mehr darstellen. Es wird dann auch nicht mehr gehen um „intelligent tun“ (Simulation von Intelligenz), sondern um „intelligent sein“. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts, als Alan Turing seinen Test vorstellte, ist die Entwicklung weiter gegangen. Mit der Rotation der Erde ist gerade in der heutigen Zeit ein ständiges Fortschreiten assoziiert. Auf allen Ebenen. Politik. Gesellschaft. Technologie. Bewusstsein. Bereits in wenigen Jahren könnte es weniger wichtig sein, wenn ich einem Soziogenten, also einem sozial interagierenden Wesen, begegne, zu wissen, ob es sich um einen Menschen oder einen Computer handelt. Von viel größerer Relevanz mag dann die Antwort auf die Frage sein: „Ist es eine Ethische Intelligenz, der ich begegne?“. Der Ethische-Intelligenz-Test (kurz Roth-Test) ist vor allem ein philosophisches Experiment. Er empfiehlt sich eher als Fragestellung, denn als Antwort oder Lösungskonzept. Es geht geht um die Frage: Ob und wie kann es der Menschheit in Zukunft gelingen, unter den Eindrücken einer zunehmend durch den Menschen zerstörten, wenigstens disruptiv veränderten Natur und einer ebenfalls durch den Menschen geschaffenen Künstlichen Intelligenz, einen Modus vivendi, mehr noch, ein kreatives, symbiotisches und beglückendes Miteinander zu verwirklichen? DAS, nicht mehr und nicht weniger, wird die Herausforderung für die kommenden Dekaden sein. Was die Welt derzeit sieht, ist das Ausrufen von Klima-*Not*ständen in den Städten. Was die Welt (außerdem) braucht, ist das Ausrufen von Ethik-*Auf*ständen in der Welt. Und das umfassender, als es bisherige Philosophen, Philosophinnen und teils heute auch Informatiker*innen sehen. Ja, wir ahnen es schon. Es geht um unsere Zukunft. Wiedermal.

Michael M. Roth, Karlsruhe, 25.8.2020: Turing vs. Roth: Der Ethische-Intelligenz-Test
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