Wir stehen am Vorabend der 2020er Jahre. Nicht nur poetisch, philosophisch oder metaphorisch. Es ist wirklich so: Wenn die Sonne das nächste Mal aufgeht, dann sind wir in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts angekommen, wir hier in Europa. In Australien ist es bereits soweit. Und was assoziiere ich damit?
Wie wahrscheinlich viele von Euch auch frage ich mich, was uns die nächsten 10 Jahre bringen werden. Vielleicht sollte ich auch fragen: Was werden wir den nächsten 10 Jahren bringen? Denn wir Menschen können uns sowohl passiv als auch als aktiv selbst verstehen. In der bisherigen Menschheitsgeschichte haben wir uns zu oft als aktiv und gleichermaßen als ein disruptives Element auf dem Planeten Erde verstanden. Allein wenn wir an die dramatischen Klimaveränderungen der letzten 100 bis 150 Jahre, seit Beginn der Industriellen Revolution, denken, dann gelangen wir immer mehr zu jener „Mea-Culpa-Erkenntnis“, die streng genommen auch unser Handeln beeinflussen sollte in Richtung Demut gegenüber dem, was in Millionen Jahren während der und durch die Evolution an Wunderbarem hervorgebracht wurde.
Ehe ich zur Frage zurück komme, was in der nächsten Dekade alles passieren könnte, möchte ich nun doch zu einer Metapher kommen. Nämlich zu der in der Überschrift plakatierten.
Leeres Blatt Papier 2020er
Ja, schon. Es ist ein alter Hut, dass wir uns Jahr für Jahr, (eine überwiegende) Zeit unseres Lebens immer wieder mit dem Jahreswechsel Vorsätze kreieren, die oft dann nach wenigen Wochen für unerreichbar oder als nicht aktuell, nicht zutreffend etc. entwertet und für just obsolet erklärt werden. Ein Zuviel an Vorsätzen würde unseren Gedanken- und Vorhabenrucksack ohnehin zu sehr be/last/en. Und der nächste Jahreswechsel kommt bestimmt, dann versuchen wir es nochmal, richtig? Und doch. Ich spreche von einem neuen Jahrzehnt. Ich, Du, er, sie, wir und Ihr, alle sind involviert. Wir sind die Menschen, die den Planeten gerade bewohnen. Solange niemand von uns eine Zeitmaschine erfindet, müssen wir quasi durch, ob wir wollen oder nicht. Dann sage ich mir: Lasst uns lieber wollen!
Und nun meine besondere Idee für die 2020er. Meine Metapher. Eigentlich ist sie ganz trivial. Und doch mögen wir uns, oder sich andere Menschen, auf die wir keinen oder zu wenig Einfluss haben, schwer tun mit der Bewahrung dessen, was ich im folgenden beispielhaft aufzähle:
In den 2020ern gibt es keine Menschen, die anderen Menschen das Leben genommen haben. Es gibt keine Verfolgung von anders Denkenden, von Minderheiten, von Menschen mit einer Religion, die sich von der eigenen unterscheidet, von Menschen, die gar keine Religion haben, von Menschen, die sich in der Hautfarbe unterscheiden oder von Menschen gleichen Geschlechts, die Liebe miteinander machen. Es gibt keine Hinrichtung, weder eine private oder eine staatliche Verurteilung zum Tode. Denn selbst wenn es einen Mörder zu bestrafen gelte, so machte man das Prinzip des Tötens hoffähig, man würde es legitimieren, wenn man es selbst applizierte, egal ob als Privatmensch oder als ausführende Hand eines Gesetzes, das keinen Sinn macht. Keinen Sinn macht. Es macht keinen Sinn. Nein. Es gibt keine Menschen, die andere Menschen verstümmeln, in diesen 2020ern. Noch keinen einzigen! Es gibt kein Land, das einem anderen Land den Krieg erklärt oder dieses heimlich überfällt. Es gibt keine Menschen, die verdursten oder die verhungern. Es gibt keine weitere Rodung am Hambacher Forst und keine neuen Kohlekraftwerke, die in 2020 ff. entstanden sind.
Und warum gibt es das alles nicht, in den 2020ern?
Weil sie noch nicht begonnen haben. Das ist der einzige Grund.
Eine Dekade voller Chancen
Leute. Wir sind die Helden. Wir können zu Helden werden. Habt Ihr keine Lust? Habt Ihr Lust auf Wohlstand? Habt Ihr Lust, Wohlstand neu zu verstehen? Wollt Ihr dabei sein? Wenn ich an Fridays For Future denke, dann habe ich keine Zweifel an der Antwort. Wenn wir, unsere Eltern oder unsere Großeltern, die mit dem Motorrad durch die Scheune gefahren sind, (noch) keine Helden waren, dann ist das verzeihlich. Obgleich ich mir sicher bin, dass sie in ganz anderen Kontexten Held*innen waren. Aber wie wird man/frau heute zum Helden oder zur Heldin? Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sagen: „Wir müssen unser Verhalten ändern, wenn wir nicht wollen, dass uns in wenigen Jahrzehnten das Wasser bis zum Halse steht!“, dann sollten wir sie ernst nehmen.
Unsere Eltern konnten schon C aus A und B schließen. Die Sache war nur, dass sie von A und B erstmal erfahren mussten. Der Bücherschrank im Hause Roth war übervoll mit Meyers Lexika. Vergleichen wir das mal mit heute. Heute haben wir ein Vielfaches an Wissen und Informationen alleine in der Wikipedia. Und wir müssen nicht ewig blättern. Zu gesuchten Themen haben wir in Windeseile Ressourcen gefunden. Wie können heute unseren Wissensdurst viel effizienter stillen. Und uns somit fundiertere Meinungen bilden.
Wenn in 2020 all diese schrecklichen Sachen noch nicht passiert sind, dann haben *wir* doch die Chance, jeder für sich betrachtet und natürlich als Teil eines Uhrwerkes namens Gesellschaft, unsere positiven und konstruktiven Beiträge zu leisten. Das kann damit beginnen, dass wir für eine gewaltfreie Kommunikation im Internet eintreten. Dass wir nicht über andere Menschen herziehen, nur weil ein Freund oder Freundesfreund doch „gehört hat“ …. Auch neue Erkenntnisse, die nicht zu unseren bisherigen fundamentalen Positionen passen, auch für diese sollten wir offen sein. Der Mensch ist ein lernfähiges System. Seien *wir* doch dabei, wenn es um das Beschreiben dieses neuen Blattes 2020er Jahre geht. Betrachten und begreifen wir das Leben und das Leben unserer Mitmenschen als eine Chance! Betrachten wir uns als einen Teil der Natur, so wie es Maja Göpel im Interview bei Jung und Naiv im Sommer des sich nun dem Ende neigenden Jahr 2019 angemahnt hat. Wenn wir uns als einen Teil der Natur betrachten, dann gehen wir selbstverständlich sorgsam und sorgsamer mit dieser Natur, id est, mit uns selbst, um. Das Verhältnis Mensch – Milieu (Natur) sehe ich als Komponente der Neuen Ethik 2020, die wiederum Bestandteil meines Konzeptes der Ethischen Intelligenz ist.
Visionen zu artikulieren, geht mit der Gefahr einher, sich zu blamieren
Nur zu gerne möchte ich spekulieren über das, was uns in der kommenden Dekade alles passieren könnte, in unserer einmaligen, einzigartigen, großartigen und gleichzeitig so kontrastreichen Welt. Ganz klar, wer heute Visionen ausspricht, läuft Gefahr, sich einer Blamage zu unterziehen. Gerade im Politpoker der Parteien, wo die eine geradezu danach hechelt, der anderen etwas auswischen zu können, da bedarf es des Mutes, Dinge aus- oder anzusprechen, die bisher noch nicht gesagt oder geschrieben wurden. Ich sehe mich nicht als Prophet, auch wenn man mich in der einen oder anderen gesellschaftlichen oder technologischen Disziplin schon als „Early Adopter“ identifiziert haben mag. Und klar, könnte ich die Zukunft vorhersagen, ich wäre unglaublich stolz auf mich. Aber was ist der Punkt? Meiner Meinung nach: Dass gerade Deutschland und die Deutschen zu wenig Mut zeigen, Zukunft zu „fantasieren“. Wie können wir überhaupt zu neuen Konzepten gelangen? Ob es die Energie betrifft, die Umwelt, den Verkehr, unser Miteinander, den Umgang mit zukünftig künstlich-intelligenten Systemen? Wie können wir uns heran tasten, wenn nicht durch die Entwicklung und Entfaltung unserer Fantasie und unserer Kreativität? Gehören diese Attribute nicht zu den besonderen Fähigkeiten und Merkmalen des Menschen? Deutschland, Land der Dichter, Denker ….. und Ingenieure?
Visionen inspirieren den Spin zur Fortentwicklung der Gesellschaft
Ob schon jemand auf die Idee gekommen ist, die Krim zu einem Brückenstaat zu machen zwischen Ost und West? Warum muss es eigentlich immer ein „entweder oder“ geben? Wie kann es sein, dass der Brexit, der nun angeblich Ende Januar 2020 vollzogen wird, über Jahre (!) Politiker*innen und Institutionen weltweit beschäftigt? Konnte man sich nicht zusammen setzen und Ursachenanalyse betreiben? Wenn es Anfang der 2020er im (ehemals) Vereinigten Königreich möglicherweise so richtig krachen wird, auch was bspw. die schottische Zugehörigkeit entweder zu Großbritannien oder zur EU betrifft, kann man dann ab 2025 vielleicht wieder auf ein „Restart Europe“ hoffen? In Stein gemeißelt ist da m. E. sowieso nichts. Und Boris Johnson ist, ebenfalls meiner Meinung nach, allenfalls ein großer Rhetoriker. Politik sollte man anderen Leuten überlassen. Aber wer weiß, was da noch alles kommt, im Bösen wie im hoffentlich Guten.
Die 2020er werden mit ziemlicher Sicherheit einen Richtungsentscheid zumindest für die kommenden Dekaden bringen in Sachen Energiegewinnung und Versorgungssicherheit. Mich persönlich überzeugen derzeit weder das Konzept der Kernspaltung noch der Kernfusion. Der Beitrag Königsweg Kernfusion? Futuremag / arte, ist nicht mehr ganz aktuell (aus 2016), deutet aber einige systembedingte Herausforderungen oder Unwägbarkeiten an. Es gibt so viele renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Deutschland, die ganz klar die Erneuerbaren Energien wie die Photovoltaik und Windkraft favorisieren. Einige zig Tausend haben sich hierzulande als „Scientists for Future“ zusammengeschlossen. Volker Quaschning, Maja Göpel, Stefan Rahmstorf oder Heinrich Strößenreuther gehören dazu. Letzterer ist Mitbegründer der bundesweiten Initiative German Zero, die zum Ziel hat, Deutschland bis 2030, spätestens bis 2035 klimaneutral zu machen.
Natürlich, ein hoch spannendes Thema wird in der kommenden Dekade das Thema Krankheiten und speziellen die riesengroße Herausforderung der Autoimmunkrankheiten werden. Allein die Erfindung der Genschere CRISPR öffnet Fantasien und Visionen Tür und Tor. Und wir erinnern uns: Darum geht es! Ich bin selbst Diabetiker, Typ 1, und hoffe, dass „eines Tages“ das Interesse der Pharmaindustrie, oder sei es ein kleines LifeScience-Unternehmen wie die HS Analysis GmbH in Karlsruhe, an der Heilung von Diabetes Typ 1 größer sein wird als das über (zu viele!) Jahre andauernde Melken der Cash Cows, das mit der milliardenfachen Produktion von Teststreifen und weiteren Therapiemitteln verbunden ist. Auch diese Hoffnung ordnet sich ein in meinen bereits oben erwähnten Sektor der Neuen Ethik 2020 als Teil der Mensch-Mikrokosmos-Beziehung. Schon in den 2030ern könnten Teststreifen „Hokuspokus von gestern“ sein. Ebenso sind transhumane Konzepte auf dem Vormarsch. Im Frühjahr 2019 ist es israelischen Forschern bereits gelungen, ein Mini-Herz aus menschlichem Gewebe im 3D-Drucker herzustellen. Eine wissenschaftliche und technologische Sensation!
Das nächste Große Ding: Künstliche Intelligenz
Wie bitte? Künstliche Intelligenz? Das ist doch jene Zukunftsmusik, die Spatzen schon seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von den Dächern trällern. But so what? Tatsächlich schrieb der als einer der Väter der KI geltende Prof. Joseph Weizenbaum (MIT) das erste „künstlich-intelligente“ Programm Eliza im Jahre 1966. Das war natürlich nur ein Startschuss. Aber mit Signalcharakter. Kürzlich fand ich im Familiealbum ein hübsches Bild von dem Vordenker und Visionär Joseph Weizenbaum, zusammen mit meinem Vater, Prof. Michael Roth, beim Kaffee. Er hatte die prominente Persönlichkeit aus den USA zu einem Vortrag an die Technische Universität Ilmenau eingeladen. Das Foto ist ein bisschen wie ein Zeugnis darüber und Erinnerung daran, dass mich schon in jungen Lebensjahren Fragen und Visionen der KI faszinierten.
Auch hier bin ich kein Prophet, wenn ich sage, dass künstlich-intelligente Systeme der Zukunft unser Leben auf der Erde weitaus mehr revolutionieren werden als alle Erfindungen bisher zusammen. Natürlich waren diese Voraussetzungen dafür, dass es überhaupt soweit kommen konnte. Nicht wenige Wissenschaftler*innen sprechen heute davon, dass es bereits in ein paar Jahren zu einer „Superintelligenz“ kommen könnte. Ihr Eintreten in die Menschheitsgeschichte wird auch als Singularität bezeichnet. Wenn die Darwinschen Gesetze weiterhin, ohne eine Beimischung von Ethik, applizierbar sind, dann bedeutet die Existenz einer Starken Künstlichen Intelligenz möglicherweise sogar das Ende der Menschheit. In jedem Fall werden die Menschen ihre (Selbst)bestimmung hinterfragen und diese erweitern müssen. Das bereits oben angesprochene Thema der Ethischen Intelligenz, mit dem ich mich 2018 erstmals in dieser Wortkombination beschäftigte, ist ein sehr umfangreiches und universelles. Es findet gleichwohl in der „Unterabteilung“ der „Neuen Ethik 2020“ Anwendung und Interaktion im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Anders als bspw. der renommierte deutsche Philosoph Julian Nida-Rümmelin („Digitaler Humanismus„) verliert sich meiner Meinung nach innerhalb der nächsten Jahre oder wenigen Dekaden die Rolle der „Maschine“ allein als „Diener“ oder Hilfsmittel der Menschen. Der Mensch wird sich verabschieden müssen von der Idee, das intelligenteste Wesen auf dem Planeten zu sein. Ebenso werden sich autarkes Handeln, Fühlen sowieso und sogar Selbstbewusstsein nicht auf den Homo sapiens beschränken.
Frohen Mutes mit Liebe und Selbstliebe in die 2020er
Es liegt mir fern, eine teuflische Dystopie an die Wand zu malen. Wenn es nach mir ginge, müsste man neben dem derzeitig in einigen Städten Deutschlands anzutreffenden Klimanotstand auch einen Ethiknotstand ausrufen. Das betrifft nicht nur, aber natürlich auch, unsere Überlegungen über kommende KI-Systeme. Fundamental und essenziell wäre eigentlich auch die Beschäftigung mit uns selbst. Das Ja-Sagen zu uns Menschen. Jede Person zu sich und zu seinen/ihren Mitmenschen. Jede Gesellschaft zu sich und zu ihrer Nachbargesellschaft wie zum Planeten Erde überhaupt.
Wir haben alle Chancen, unsere Zukunft zu formen, zu gestalten, selbst in die Hand zu nehmen. Warum tuen wir es dann nicht einfach?
Rutsch gut; und kommt fein rüber nach 2020, und in hoffentlich gute 2020er Jahre!