Interview mit Nico Lumma zur Gründung von D64

Am Samstag, 3. Dezember 2011, wurde D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt gegründet. Zum Vorstand des Vereins gehört Nico Lumma, der 2007 von der Zeitschrift Tomorrow zu den Top 20 Web 2.0 Pionieren in Deutschland gewählt wurde und derzeit unter anderem im Gesprächskreis Netzpolitik des SPD-Parteivorstandes tätig ist. Das Echo zur Gründung von D64 fiel in den (vor allem schnellen sozialen) Medien sehr unterschiedlich aus. Davon inspiriert, stellt MicialMedia ein paar neugierige Fragen an Nico Lumma.

 

MicialMedia:

Wie geht es Dir im Moment? Was für ein Gefühl hast Du, nachdem D64 als Konsequenz einer monatelangen Vorbereitungsphase nun offiziell gegründet wurde? Erleichterung?

Nico:

Freude gemischt mit Erleichterung, denn es ist schon ein schönes Gefühl, wenn man nach einer langen Zeit so ein Projekt gestartet bekommt. Aber die eigentliche Aufgabe, die inhaltliche Arbeit, liegt jetzt noch vor uns. Das dürfte auch sehr spannend werden, vor allem gehe ich von intensiven Debatten aus.

MicialMedia:

In Deinem Blogpost „JETZT NEU: D64 – ZENTRUM FÜR DIGITALEN FORTSCHRITT“ erzählst Du von Deiner USA-Reise mit Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, im Mai 2010. Die Begegnungen mit Vertretern sogenannter Think Tanks haben Euch offenbar relevante Incentives zur Gründung von D64 geliefert. Welches Model steckt hinter den auch als Denkfabriken bezeichneten Think Tanks und warum spielen diese gerade im Zeitalter der „Digitalisierung der Gesellschaft“ und der Einflussnahme auf das politische Geschehen eine so große Rolle?

Nico:

Ich glaube, dass es wichtig ist, neben den etablierten Strukturen etwas zu schaffen, das einen anderen Blick auf die derzeitigen Entwicklungen hat. Uns geht es insbesondere darum, viele intelligente Menschen zur Mitarbeit an Themen zu bewegen, die über die derzeitige netzpolitische Diskussion hinausgehen. Wir wollen offen sein für Menschen, die progressive Ideen gemeinsam entwickeln wollen. D64 ist jetzt erst gestartet, nun geht es darum, Arbeitsprozesse zu etablieren und die Themen für die kommenden Monate und Jahre zu entwickeln.

MicialMedia:

Im Mission Statement auf Eurer Homepage artikuliert Ihr Ziele und Schwerpunkte der bevorstehenden Arbeit bei D64. Dazu gehört z. B. die Veränderung politischer Strukturen als Folge der Digitalisierung der Gesellschaft. Diesen Änderungsprozess wollt Ihr aktiv mitgestalten. Wie werdet Ihr dabei vorgehen? Ist der Ansatz der „Veränderung von außen“ (durch D64) überhaupt realistisch, wenn Ihr selbst Mitglied von innerparteilichen Gremien seid? Kann es da nicht auch zu Interessenkonflikten kommen? Oder könnte man D64 gar als einen bidirektionalen Meinungs- und Know-How-Transferkanal bezeichnen?

Nico:

Der überwiegende Teil der Mitglieder ist nicht Teil von innerparteilichen Gremien, sondern daran interessiert, sich einzubringen. Wir stellen fest, dass es eine gewisse Zurückhaltung gibt, wenn es darum geht, sich bei Parteien einzubringen. D64 bietet daher eine andere Art der Mitarbeit, die sicherlich viel dezentraler ist, als man das von Parteien gewöhnt ist. Der Fokus liegt in der Tat darauf, neue Ideen im politischen Meinungsbildungsprozess zu verankern.

MicialMedia:

Aufgrund der Tatsache, dass einige Gründungsmitglieder von D64 aktiv in der SPD (vor allem zu netzpolitischen Themen) tätig sind, wird dem Zentrum für Digitalen Fortschritt per se eine signifikante Nähe oder Affinität zur SPD nachgesagt. So schreibt die Zeit in ihrem Artikel „Die SPD bekommt netzpolitische Nachhilfe“, „D64 soll vor allem ein sozialdemokratischer Netzkreis sein.“ Spätestens durch die Einladung verschiedener Bevölkerungsschichten unabhängig von der Parteizugehörigkeit sollte sich die aktuelle SPD-Mitglieder-Dominanz ja relativieren. Ist es ein Kommunikationsproblem, dass trotzdem so viele Leute nach der Nähe von D64 zur SPD fragen, ehe sie den Mitgliedsantrag einreichen? Wie groß ist die Offenheit und Parteiunabhängigkeit von D64 wirklich?

Nico:

Ach, mit dem Etikett SPD-nah können wir leben, die Diskussionen der nächsten Zeit werden zeigen, dass wir kein SPD-Club sind. Wir haben in den ersten Tagen bereits über 100 Mitgliedsanträge bekommen, und das zeigt mir deutlich, dass der Wunsch nach einer progressiven Politik besteht.

MicialMedia:

Bei der diesjährigen, über 7 Monate zurückliegenden re:publica in Berlin wurde die „Digitale Gesellschaft“ vorgestellt. Zu den Initiatoren gehört Markus Beckedahl, Betreiber von Netzpolitik.org. Auch hier wurde von einer monatelangen Vorbereitung gesprochen, die der netzpolitischen Aktivistengemeinde wahrscheinlich nicht ganz verborgen blieb. Woraus ergab sich Deiner Meinung nach die Notwendigkeit oder Intention, einen weiteren Verein mit auf dem ersten Blick sehr ähnlichen Zielen zu gründen?

Nico:

Wir haben bereits vor 1,5 Jahren angefangen, über etwas wie D64 nachzudenken, haben uns aber bei der Konfiguration bewusst Zeit gelassen. Wir sind weder eine Reaktion auf die Digitale Gesellschaft e.V. noch auf die Piratenpartei, sondern aus dem Wunsch entstanden, mit Leuten, die Ahnung vom Internet haben, eine neue Art von Netzpolitik zu etablieren. Wir wollen weitergehen als es die bisherigen Diskussionen erlauben.

MicialMedia:

Was werden wir in den kommenden Wochen und Monaten von D64 zu sehen und zu hören bekommen? Welche Visionen hat Nico Lumma im Kontext von D64? Was möchtest Du den Lesern von micialmedia.de bei ihrem Weg in der Digitalen Gegenwart und in die Digitale Zukunft mitgeben?

Nico:

Wir legen jetzt erst einmal los. Eines der Themen wird die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung sein und dort versuchen wir eben auch auf die SPD einzuwirken, damit eine vernünftige Position auch in der SPD zu finden sein wird. Dann steht bei uns auf dem Zettel die Idee eines Freiwilligen digitalen Jahres, die wir nun anfangen wollen zu entwickeln. Im Frühjahr setzen wir uns dann zusammen und besprechen die Themen für 2012 und darüber hinaus.

MicialMedia:

Ich bedanke mich ganz herzlich für die spontane Bereitschaft zum Gespräch und wünsche Dir und D64 alles Gute!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert