Einheit und Protest zum Nationalfeiertag in Dresden

Als Bestandteil der 15-köpfigen Bürgerdelegation Baden-Württemberg durfte ich vor zwei Jahren, am 3. Oktober 2014, selbst an den zentralen Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag in Hannover teilnehmen. Für mich war das eine großartige und spannende Veranstaltung. Das dort gelebte Motto „Einheit in Vielfalt“ berührte mich auf angenehme Art und Weise. Ich lernte eine Vielzahl von Menschen kennen mit unterschiedlicher Hautfarbe und Religion. In ihnen sah ich keine Bedrohung, im Gegenteil, für mich waren sie eine Bereicherung meines eigenen kulturellen Horizontes und eine Erweiterung meines Freundeskreises. Dazu gehörte u.a. Najoua Benzarti (im Bild links mit Kopftuch), Migrationsbeauftragte aus Karlsruhe und stellvertretende muslimische Vorsitzende des Koordinationsrates des christlich-islamischen Dialogs.

Gemeinsame Anreise: Stuttgart->Hannover; Tag der Deutschen Einheit 2014 | Foto: MicialMedia

Gemeinsame Anreise: Stuttgart->Hannover; Tag der Deutschen Einheit 2014 | Foto: MicialMedia

 

Bei den Zentralen Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag, die nun, 2016, in Dresden stattgefunden haben, gab es einige Unruhen. Auf Facebook hatte Tobias Huch (FDP) in seinem aktuell 6.444 mal geteilten Post um eine Bezeichnung für jene Menschen gebeten, die mit ihren Rufen und Plakaten wie „Merkel muss weg“ das Bild der feierlichen Einheit trübten:

Lasst uns KLARTEXT REDEN! Welches Wort passt? 

Pack? Gesindel? Abschaum? Gesocks? Eine Schande? Nazis? Brüllaffen? Dummköpfe? 
// TEILEN und als Betreff das passende Wort schreiben //

Aber kann man Hass mit Hass bekämpfen? Als selbst „DDR-Geborener“, der verschiedene Systeme kennen gelernt hat, wollte ich mit folgendem Text eine differenziertere Betrachtung entgegen setzen:

In meinen Augen seid Ihr weder Pack, Gesindel, noch Abschaum. Schändlich ist vor allem die Situation.

Für mich seid Ihr der entgleiste Hilferuf einer desorientierten Gemeinschaft mit einer untergegangenen Religion, die sogar Werte vertrat, die Ihr heute negiert artikuliert, nämlich Solidarität und Menschlichkeit, so wie sie – sogar und vor allem – im Volk – der ehemaligen DDR – gelebt wurden.

Eure Hilfeschreie lassen Euch erscheinen als Pack, Gesindel, Abschaum, weil Ihr die Geduld verloren habt, Eure Erwartungen und Hoffnungen unerfüllt und verloren glaubt. Die Flüchtlinge und Andersfarbigen, die in Eurer Region nur in Spuren vorkommen, sind nicht Euer Problem. Sie werden von Euch genutzt als Metapher für die vor allem in Euren Köpfen noch nicht angekommene Freiheit. Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Für das eigene Menschenleben und seinen Platz in der Gesellschaft. Wertschätzung und Respekt für seine Mitmenschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Religion.

Es ist beachtlich, *dass* Ihr auf Euch aufmerksam macht. Wie schön wäre es, wenn dies in einem positiven Kontext geschähe. Ich schaue hinter Eure Fassade, Eure grimmige Maske. Ich sehe kreative Menschen, tief im Inneren, nur äußerlich abgestumpft. Habt Ihr keine Lust, den Paradigmenwechsel zu vollziehen, im positiven Sinne von Euch reden zu machen? IHR könntet zu den Weltverbesserern werden. Ihr wart es doch auch, die 1989 für ein ein besseres Leben auf die Straßen Ostdeutschlands gegangen seid. Und wenn Ihr glaubt, „die im Westen“ oder „die da oben in der Regierung“ hören Euch nicht, dann schreit lauter und schreitet mit guten Taten voran. Bildet Euch weiter, gründet Unternehmen, kümmert Euch um Eure Mitmenschen! Macht Euren Lebensraum, egal ob Ihr in Dresden, Stuttgart oder Kiel wohnt, zu einem Flecken Erde, der dazu beiträgt, das Leben auf der ganzen Welt zu verbessern. Selbst wenn Ihr nur ein Mosaiksteinchen seid. Aber genau ohne diese Mosaiksteinchen funktioniert das Leben als Ganzes nicht.

Positive Impulse zu setzen, im eigenen Leben wie inspirierend auf das Leben anderer einzuwirken, kann mindestens genauso befriedigend sein wie „Merkel muss weg“ zu rufen oder zu plakatieren. Vielleicht solltet Ihr einfach mal den Mut aufbringen und diese Zäsur in Eurem eigenen Leben Wahrheit werden lassen. Der persönliche und gesellschaftliche Gewinn könnten größer sein, als Ihr Euch derzeit vorzustellen wagt.

 

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