Das Virus, die Impfung, der Ethellekt

Das Virus

2020, sich gerade dem Ende neigend, wird zweifelsohne zu einem besonderen Jahr in der Geschichte der Menschheit werden, zumindest was die aktuellen Dekaden angeht. Und das in mehrerlei Hinsicht. Wird man sagen, das Coronavirus war ein bedeutendes Moment bei allen Infektionskrankheiten oder, noch schlimmer, der Beginn einer Ära einer unterschätzten Spezies, an der der Mensch möglicherweise sogar zwar ohne Intention aber doch durch sein Handeln mitgearbeitet hat? Die Pandemie, die vermutlich vor dem Jahreswechsel 2019 nach 2020 durch eine Übertragung von Tier zum Menschen in China ausgelöst wurde, forderte bis heute, 17.12.20, weltweit ca. 1,6 Millionen Todesopfer bei 74,2 Millionen Infizierten und knapp 42 Millionen genesenen Menschen. In Deutschland hatten wir bisher 1,4 Millionen Fälle an Infektionen, täglich über 32 Tausend neue, 24.273 Todesfälle (an oder mit Corona verstorben), pro Tag sind zuletzt 729 neue Todesfälle bei uns in der Republik hinzu gekommen. Die Zahlen kommen von der Wikipedia bzw. vom RKI, das seine Zahlen wiederum von den Gesundheitsämtern der Kommunen erhält. Vor wenigen Tagen, am 14.12.20, lag Deutschland laut Statista im europäischen Vergleich mit einer Inzidenz von 185,1 (Anzahl Infektionen pro 100.000 Einwohner*innen) auf Platz 37. Die Tabelle wird angeführt von der Türkei mit einer Inzidenz von 1.212,7. Und das, wo es in der Türkei lange Zeit gar keine Coronainfektionen gab oder keine gezählt wurden bzw. sich die Zählweise änderte. Diese Zahlen können niemals als die einzige absolute Wahrheit verstanden werden aus ganz verschiedenen Gründen wie unterschiedliche Erhebung usw. Auch in Deutschland ist jeder Coronatote einer oder eine zu viel. Hybris sollten wir daraus also nicht ableiten. Aber die Zahlen können eine Orientierung geben. Zwar gibt es zurecht Kritik an unserem Gesundheitssystem, das zunehmend allein aus wirtschaftlichen Aspekten heraus betrieben wird, auf der anderen Seite finden wir auch nicht das schlechteste auf der Welt vor. Panik machen, lohnt sich schon deshalb nicht. Gleichwohl sollten wir selbst niedrige Infektionszahlen ernst nehmen, die inzwischen dabei sind, auf einen relativ hohen Niveau zu verharren bzw. noch anzusteigen. Auch mit Grippe-Toten lassen sich keine Corona-Toten rechtfertigen. Erstens verhalten sich die Viren anders, es wird potenziell nicht nur die Lunge angegriffen und bei Covid-19 sind Spätfolgen möglich. Und eine Todesstrafe in den USA würde ich doch auch nicht dadurch rechtfertigen, dass es die Todesstrafe in China gibt, oder? Wir sollten Leben per se schätzen, Menschenleben sowieso.

Die Impfung

Bereits frühzeitig, zu Beginn der Pandemie, haben Pharmaunternehmen versucht, einen Ausweg aus dem facettenreichen Labyrinth der Coronapandemie zu finden. Laut wissenschaftlicher Analyse von Verbreitungswegen des Virus scheinen die AHA-Regeln plus L, also Abstand halten, Hygienemaßnahmen wie Händewaschen, in die Armbeuge statt in die Hand niesen oder husten, Alltagsmaske tragen plus Lüften essenziell zu sein. Vor allem solange wir noch keine wirkeffiziente Impfung haben. Selbst wenn diese anläuft, wird AHA noch eine Weile wichtig bleiben. Sogar gegenüber Maskenverweigerern und Impfgegnern sollen wir uns solidarisch verhalten. Obgleich mir eine gewisse Wut und ein Unverständnis ihnen gegenüber manchmal angebracht, zumindest nachvollziehbar zu sein scheint. Doch just in diesem Moment, also in diesen Tagen, stehen wir vor einer ganz neuen Potenzialeröffnung. Während in Russland, in Großbritannien und in den USA die Impfungen schon angelaufen sind, stehen wir in Deutschland bzw. Europa kurz vor der Zulassung des Impfstoffes der deutschen Firma Biontech, die Partnerschaften mit Pfizer und weiteren Unternehmen eingegangen ist, um die Massenproduktion des Impfstoffes zu ermöglichen. Bei der nächsten Beratung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), am 21.12.20, also in vier Tagen, wird mit der Zulassung auf europäischer Ebene gerechnet. Deutschlands Bundesgesundheitsminister, Jens Spahn, spricht sogar von der weltweit ersten Zulassung, die keine Notfallzulassung ist. Spannend! Beim Impfstoff der Firma Biontech handelt es sich um eine Entwicklung, die auf der sogenannten Messenger RNA (mRNA) basiert. Im Unterschied dazu soll in Zukunft von der Firma AstraZeneca ein sogenannter Vektor-Impfstoff gelauncht werden, von dem gesagt wird, dass seine Wirksamkeit etwas niedriger liegt, nämlich bei 70 bis 90% (versus Biontech: 90%), aber evtl. die ebenso bedeutsame mögliche Infektiosität mit der Impfung unterbunden werden kann. Insgesamt wird es diesbezüglich im Verlauf wohl noch weitere Studien bzw. ein entsprechendes Monitoring geben müssen. Entsprechend der Zulassung wird in Deutschland zunächst nur Biontechs Impfstoff zu Verfügung stehen und verimpft werden. Im Verlauf werden weitere Impfstoffe folgen, wobei es dann voraussichtlich personen(gruppen)-spezifischen Empfehlungen gibt. Bei hinreichend großer Verfügbarkeit ist es denkbar, dass im Verlauf 2021 oder 2020 eine freie Wählbarkeit zum Tragen kommt. Natürlich gehören Aufklärung (wie über mögliche Nebenwirkungen) und Beratung von ärztlicher Seite dazu. Kurz nach Weihnachten 2020 soll mit den Impfungen begonnen werden in jenen Gruppen, die das höchste Risiko gegenüber dem Coronavirus haben, d. h. Menschen mit schwerwiegenden Vorerkrankungen, über 80-Jährige sowie medizinisches Personal, Pflegerinnen und Pfleger in Altenheimen. Die Aufstellung der Risikogruppen resultiert aus Beratungen der Ständigen Impfkommission (Stiko), des Deutschen Ethikrates und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (siehe auch Corona-Impfplan 2021, Quelle: Deutscher Städte- und Gemeindebund).

Der Ethellekt

Die Ethische Intelligenz ist eine kleine Philosophie, die ich seit ca. zwei Jahren auszurollen versuche in Form von Artikeln und Vorträgen bei Kongressen beispielsweise zum Thema Künstliche Intelligenz (siehe #ki4industry Programm @ HsKA). Dabei beinhaltet die Ethische Intelligenz auch einen Kreißsaal für neuartige Begriffe, die gleichzeitig die Geburt neuer Erkenntnisräume ermöglichen sollen. Dazu gehört z. B. der Terminus Soziogent, der die bisherige Hybris des Menschen gegenüber seinen Mitlebewesen relativiert. Und der Ethellekt. Im Unterschied oder in Addition zum uns allen – mehr oder weniger – vertrautem Intellekt geht es beim Ethellekt nicht nur um kognitive Fähigkeiten, sondern auch um das Vermögen, Denken und Handeln unter ethischen Gesichtspunkten zu hinterfragen.

Grundsätzlich und gerade in Zeiten der Coronapandemie sollten man und frau sich nicht nur des eigenen Verstandes bedienen, sondern ebenso des eigenen Ethellekts. Schauen wir uns Bewegungen von 2015 und 2020 an. Zur Zeit der großen Ströme von Flüchtenden in Richtung Gelobtes Land Europa formierte sich PEGIDA. In der Verbalisierung und Artikulierung steckte ein Angriff auf andere Kulturen und Religionen. „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“. – Wirklich? Sah man jene Menschen, die aus anderen Kulturkreisen stammten und sich nach einem sicheren Leben sehnten, so wie wir es als „normal“ empfinden, nicht als Menschen an? Die Ursachen sind sicher tiefer liegend. Mit Schildern wünschte man sich Kanzlerin Merkel an den Galgen. Es war der übertriebene Hilfeschrei, die Ventilöffnung angesichts von offenbar angestauten Frustrationen in Bezug auf die eigene Lebenssituation. Als Rechtfertigung verstehe ich das nicht, aber als eine von möglichen Ursachen. Plötzlich sollte „der Ausländer“ integriert werden, womöglich eine Arbeit bekommen und soziale Unterstützung, wo man doch selbst sich vielleicht hintergangen fühlte oder abgehängt. Nicht nur, aber gerade in Ostdeutschland war diese Bewegung stark.

In diesem Jahr nun Corona. Wie man an vielen Stellen analysieren kann, sind die sogenannten Querdenker eine überaus diffuse Masse an Menschen, die vor allem eins tun: Ihren Frust, bis hin zu Hass, gegenüber der Regierung oder Menschen, die ihrer Meinung nach für ihr „Unglück“ verantwortlich sind, zum Ausdruck bringen. Einmal mehr gelingt es der aufgebrachten Menge nicht, einen Perspektivwechsel zu vollziehen. Es gibt sicherlich Beispiele dafür, dass Menschen, die die Pandemie oder die Gefährlichkeit des Coronavirus leugnen, selbst zu Infizierten werden und teils schwer an Covid-19 erkranken. In höchsten Regierungskreisen verschiedener Ländern konnten wir das beobachten. In Großbritannien führte das sogar dazu, dass das Virus auf einmal seitens der Regierung ernst genommen wurde. Müssen wir Menschen immer erst die Katastrophe am eigenen Leib erfahren oder sollen wir darauf warten, bis die eigene Mutter, der eigene Opa an oder mit (die Konsequenz ist die selbe) Corona stirbt, ehe wir aufwachen und nicht nur an uns selbst denken, sondern auch an die Gesellschaft als Ganzes?

Bei zahlreichen Diskussionen in den Sozialen Medien höre ich „Argumente“ wie „Aber das Tragen einer Maske ist doch nicht so wirkungsvoll“ – Selbst wenn nur ein wenig die Wahrscheinlichkeit der Übertragung reduziert wird, natürlich, aber klar, dann sollten wir von der Maske im Alltag Gebrauch machen, spätestens wenn wir uns mit anderen Menschen treffen. Bei bewusst geplanten Corona-Demos wie jener in Karlsruhe vom 4.10.20 waren so gut wie keine Masken zu sehen. Eigene Enttäuschung, Wut bis hin zu Hass sind also größer als der Anstand, solidarisch miteinander umzugehen.

Querdenken Demo am 4.10.20 in Karlsruhe | Foto: Michael M. Roth, MicialMedia

Das Coronavirus folgt seiner eigenen Dynamik. Es kümmert sich nicht um Politik. Es kümmert sich nicht darum, ob jemand durch den Verkauf von Masken ein Vermögen macht. Die Fraktion der Verschwörer und Verschwörerinnen hatte dies der Ehefrau des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder unterstellt. Offenbar ist nicht jeder dazu in der Lage, da selbst Kontakte von mir dergleichen auf Facebook geteilt haben. Dabei ist es nicht so schwer, ein bisschen zu recherchieren, und man findet die Richtigstellung wie bspw. hier: Nein, Ehefrau von Söder profitiert nicht von Masken!

Was also sollten wir tun, wenn wir an uns selbst den Anspruch stellen, uns ethisch-intelligent oder ethellektuell zu verhalten? Wir könnten uns die grundsätzliche Frage stellen, welche Werte für uns die wichtigeren sind: Die individuellen, (ich-) persönlichen, die gesellschaftlichen oder vielleicht sogar eine effiziente und konstruktive Verbindung ermöglichen zwischen persönlichem und gesellschaftlichem Nutzen. Wenn ich selbst eine Maske trage, schütze ich andere, zumindest besser als bei Begegnungen ohne Maske. Wenn alle bei Begegnungen und Ansammlungen von Menschen Masken tragen, dann schützen sie auch mich und in der Gesamtheit die Gesellschaft.

Eine weitere ethellektuelle Frage: Schenke ich grundsätzlich der Wissenschaft Vertrauen? Traue ich eher einem Sucharit Bhakdi, der sich im Ruhestand befindet und zwar Spiegel-Bestseller schreiben kann, aber keine spezielle Expertise im Zusammenhang mit dem Coronavirus vorzuweisen hat (Medizin-Datenbank PubMed: Keine Einträge) oder einem Christian Drosten, der aktiv an der Charité am Forschen ist zum Coronavirus (PubMed-Einträge im dreistelligen Bereich)? Wissenschaftler wie Christian Drosten sowie eine überwältigende Mehrheit an Virologen, Epidemiologinnen, Mediziner*innen weisen auf den Sinn der AHA-Plus-L-Regeln (wie oben erklärt) sowie auf die Gefährlichkeit des Coronavirus und einer schwer zu kontrollierenden Pandemie hin. So hat sich bspw. auch die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEPI) im Sinn der Einhaltung der AHA-Regeln positioniert und die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Coronavirus unterstützt.

In Bezug auf die Entwicklung und die Zulassung von Impfstoffen nach hinreichender Prüfung sehe ich im Ausrollen der Impfungen gemäß der Risikogruppen eine große Chance, in der zweiten Jahreshälfte 2021, hoffentlich spätestens bis zum Frühjahr 2022 das Coronavirus in Deutschland, möglichst in Europa und weltweit, entscheidend einzudämmen, in dem Sinne, dass wir zu einer Herdenimmunität gelangen. Ca. 60 bis 70% der Bevölkerung müssten sich hierfür impfen lassen. Biontech hat bei der heutigen Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel verlauten lassen, dass beim Test von 44.000 Probanden (halb Wirkstoff, halb Placebo) eine Wirksamkeit von 95% erzielt wurde. In seltenen Fällen ist es zu starken allergischen Reaktionen bei den Impfungen gekommen. Der Nutzeffekt dürfte somit um Größenordnungen höher sein als möglicher Schaden. Eine 100%ige Sicherheit werden wir nicht erreichen können. Jeder von uns sollte abwägen, ob er oder sie sich impfen lassen möchte. Dies wäre direkt und persönlich insbesondere für ältere Menschen sowie Menschen, die weiteren Risikogruppen angehören, von großem Benefit. Gesellschaftlich gesehen, können wir alle einen Beitrag leisten, ob jung oder alt, um die Pandemie als Ganzes in die Schranken zu weisen. Auf der anderen Seite sollte eine Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, nicht zu einer Zweiklassengesellschaft führen. Gegenseitiger Respekt und sachlicher Diskurs können uns weiter bringen. Mir bleibt nur, noch einmal an den Intellekt und den Ethellekt aller zu appellieren. Vielen Dank!

Links im Kontext

In diesem Beitrag klärt die Bundesregierung umfassend auf:
Coronavirus in Deutschland – Das ist der Stand bei der Corona-Impfung

Das Coronavirus-Update von NDR Info – Zeit nehmen und viel dabei lernen!

Hier ein weiterer Link zum Impffahrplan 2021 – auf Facebook, by kommunal.de.

Super Beitrag von Quarks zur Aufklärung: Corona – Wie sicher ist der Impfstoff?
(Kurz-URL zur einfachen Weitergabe: http://bit.ly/c19impfung)

Ein sehr aufschlussreicher Videobeitrag des RKI / Molekularbiologe Martin Moder:
Wirkungsweise und potentielle Risiken der mRNA-Impfstoffe gegen Covid19


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