Die Idee vom Weltbürger – Hoffnung oder Illusion?

Obwohl die Welt damals bei weitem noch nicht so vernetzt sein konnte wie heute, ist bemerkenswerterweise die Idee vom Weltbürger schon ziemlich alt. Die philosophisch-politische Weltanschauung des Kosmopolitismus (griechisch für „Weltordnung“) bzw. Weltbürgertums geht auf die Antike zurück. Diogenes von Sinope (410-323 v. Chr.) sah sich selbst als einen Weltbürger.  Während des Renaissance-Humanismus und der Aufklärung wurden die weltbürgerlichen Ideen u.a. fortgeschrieben durch Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781, „Die Erziehung des Menschengeschlechts“), Johann Gottfried Herder (1744-1803, „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit“) sowie Immanuel Kant (1724-1804, „Zum Ewigen Frieden“). Für mich erstaunlich: In den Zeiten des aufkommenden Sozialismus und (angedachten) Kommunismus wurde der Kosmopolitismus als eine Machenschaft des Imperialismus verklärt oder zumindest uminterpretiert. Dabei nannten sie ihre eigenen Raumfahrer doch Kosmonauten (vs. Astronauten in weiter westlichen Gefilden)! Und Juri Alexejewitsch Gagarin (1934-1968) gehörte zumindest zu den ersten Welt-All-Bürgern, er war der allererste menschliche Raumfahrer. Im heutigen 21. Jahrhundert ist der meines Erachtens unglaublich beeindruckende deutsche Astronaut und Kosmonaut Alexander Gerst (geb. 1976 in Künzelsau) ein Weltbürger par excellence.  Bereits in 2014 verbrachte „Astro-Alex“ 6 Monate auf der ISS und wird 2017 der 1. deutsche Kommandeur auf der ISS werden. Es gibt wohl kaum einen anderen Platz in der Welt, bei dem so gut demonstriert wird, wie (Vertreter) verschiedene(r) Nationen mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen zusammen leben und arbeiten können. Chapeau!

Doch muss es weltweit bei Oasen, einzelnen Orten, Ländern oder Ländergemeinschaften bleiben, bei denen man Liebe oder im Mindesten gegenseitigen Respekt vorfindet?

Straßenfotografie in Karlsruhe. Das Motiv steht symbolisch für Liebe und herzlicher Begegnung | Foto: MicialMedia

Straßenfotografie in Karlsruhe. Das Motiv steht symbolisch für Liebe und herzliche Begegnung | Foto: MicialMedia

 

Wenn ich an Weltbürgertum denke, dann assoziiere ich eine Vielzahl von weiteren Begriffen, die diesen Begriff ausmalen oder näher skizzieren. Dazu gehört Offenheit. Offenheit, die nicht an der eigenen Haustür, nicht an der Stadt- Bundesland- oder Landesgrenze endet. In meinen Augen besitzt ein Weltbürger durchaus eine Affinität zu eigenen Traditionen oder zu einer regional geprägten Kultur. Gleichzeitig verfügt er oder sie über weiche Schnittstellen zu anderen Kulturen und Nationalitäten. Der weite Horizont ermöglicht den Austausch mit Menschen, die einer anderen Religion angehören als der eigenen. Gleichwohl besitzt ein Weltbürger Werte, die kleinste gemeinsame Nenner zwischen Angehörigen verschiedener Religionen oder Kulturen zulassen oder diese sogar befördern. Auf diesen Passus im deutschen Grundgesetz bin ich besonders stolz und erfreue mich, dass er hier seinen festen Platz gefunden hat. Vor allem aufgrund der widersprüchlichen und hasserfüllten Geschichte, die Deutschland als Bestandteil seiner „Vita“ einräumen muss. Dieser Passus steht in Artikel 1 des Grundgesetzes und lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Ich könnte mir keine Religion oder Kultur vorstellen, die diesem Anspruch nicht genügen würde, zumindest freilich in meiner Wunschvorstellung.

Was so felsenfest in der deutschen Verfassung verankert ist und worüber großenteils unter der Weltbevölkerung grundsätzlich Konsens herrschen sollte, kann gleichzeitig als Ausgangspunkt dienen für die Frage „Was bedeutet überhaupt die Würde des Menschen und (ab) wann könnte sie verletzt werden?“.

Nach unserer humanistischen Vorstellung von Recht und Menschenwürde gilt es als absolut menschenunwürdig, krankhaft und fanatisch, einem anderen Menschen die Kehle durchzuschneiden. Was aber ist, wenn die Todesstrafe zum Rechtssystem eines Landes gehört? Was macht man mit einer alten Tradition, bei der die Geschlechter von Kindern oder heranwachsenden Erwachsenen beschnitten werden?

Obwohl die Welt von heute besser vernetzt ist als jemals zuvor in ihrer Geschichte, haben wir weiterhin weltweit Konflikte. Die Vernetzung dient oftmals nicht dem Austausch von Perspektiven, sondern der Verbreitung von Falschnachrichten oder von Propaganda. Wenn wir uns mit den Dingen im Detail befassen, wird uns auffallen, dass mehr Fragen als Antworten oder gar Lösungen im Kontext der weltweiten Konflikte auftauchen. Aber vielleicht ist ja gerade das ein Ansatz, wenn man Konfliktlösungen anstreben will: Fragen zu stellen und Fragen zuzulassen. Fragen, die nicht nur die eigenen Interessen betreffen, sondern auch um die Perspektive und Beweggründe der anderen Seite näher zu erforschen. In all den Diskussionen, die vor allem in den digitalen Netzwerken geführt werden, überwiegen die Antworten und klaren Meinungen. Und ganz oft werden sie von Personen artikuliert, die gar keinen Widerspruch zulassen.

Wie also sollte ein Weltbürger agieren? Gibt einen solchen (abgesehen von Alexander Gerst 😉 ) überhaupt aktuell auf der Welt lebend?

Für mich ist die Weltbürgerschaft eine Symbolik. Mich selbst als Weltbürger zu bezeichnen ist vielleicht eher ein Anspruch, denn eine unbestrittene und offensichtliche Tatsache. Was bleibt uns denn, als die Erfüllung unserer Ziele und die Umsetzung unserer Ideale anzustreben? Eigentlich unabhängig davon, ob sich jemand als Weltbürger bezeichnet oder eher seine europäischen, deutschen oder landesspezifischen Facetten sieht, meiner Meinung nach bleibt für uns alle die Herausforderung, schon im Kleinen mit Respekt und Wertschätzung miteinander umzugehen, die eigene Meinung für wichtig, aber nicht für unumstößlich zu halten und unsere Reden, Kommentare, Posts verletzungsärmer zu gestalten. Denn jener Geist, den wir im Kleinen applizieren, ist die Basis dafür, was wir oder Menschen mit „höheren Aufgaben“ oder in „höheren Positionen“ umsetzen. Egal ob wir Deutsche, Russen, Amerikaner oder Kongolesen sind, wir können zumindest weltbürgerlich handeln und unsere Leben sowie unseren Planeten als eine einmalige Chance betrachten auf ein Leben in Würde bei dem Freude und Glück, das heißt, glückliche und friedliche Momente nicht zu kurz kommen sollten.

Und solange wir daran glauben, gibt es eine Hoffnung. Sowohl für jeden einzelnen als auch für die Menschheit auf der Erde als Ganzes.

[Quelle für die geschichtlichen Daten: Wikipedia]

 

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